Im Gespräch
Der Hände Werk und das Handwerk des Schreibens
3.10.2019 / Von Klaus Zeyringer
Christian Thanhäuser und Thomas Macho, Bettina Balàka und Paulus Hochgatterer bei Transflair

"Der Handwerker scheint den Geist der Vormoderne zu repräsentieren, das Lebensgefühl mittelalterlicher Städte", schreibt Thomas Macho. Seit jeher stehen Hände für Greifbarkeit und Fertigkeit, für Verbindung und Abwehr - und für Arbeit. Handwerk hat durch die Industrielle Revolution, dann in der digitalen Welt wesentliche Veränderungen in Praxis und Bedeutung erfahren. Hand-Werk in verschiedenen Formen, auch Hand-Schrift, besprechen die Gäste auf dem Podium dieser 68. Folge von Transflair, zunächst der Praktiker Christian Thanhäuser und der Theoretiker Thomas Macho, danach ging es Bettina Balàka und Paulus Hochgatterer um handwerkliche Aspekte der Sprachkunst.

Christian Thanhäuser sei "einer der Letzten, der sich auf das Handwerk der schwarzen Kunst versteht", heißt es in Medienpräsentationen des Verlegers und Kunstwerkers. Auf Anregung von H.C. Artmann gründete er 1989 in Ottensheim seine "Buchwerkstatt", mehr als hundert bibliophile Titel sind bislang erschienen. Die Reihe "RanitzDrucke" bringt zweisprachige Audgaben, u.a. von Jaroslav Rudiš, Drago Jančar, Aleš Šteger, Bora Ćosić, Zsuzsanna Gahse, Juri Andruchowytsch - alle schon bei Transflair. In Thanhäusers Werkstatt stehen alte Handpressen und eine Sammlung von gut sechshundert Setzkästen. Hier können die Autoren und Autorinnen beim Druck ihrer Bücher mitarbeiten, die der Verleger selbst mit Holzschnitten oder Federzeichnungen illustriert.

Mit Christian Thanhäuser, der das Gutenbergische Handwerk in Berliner Werkstätten gelernt hatte, spricht Thomas Macho, der Kulturwissenschaftler, Direktor des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK). Er war Professor in Berlin, ist Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, erhielt dieses Jahr den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa zugesprochen. Zuletzt erschien bei Suhrkamp sein Band Das Leben nehmen. Suizid in der Moderne. In der Neuen Zürcher Zeitung hat er 2008 das Buch Handwerk von Richard Sennett rezensiert, eine "Apotheose der Werkstatt". Ob der Typus des Handwerkers in die Vorstellungswelt der Moderne passe, fragte da Macho.

Auf dem Podium sagt er nun, früher hätten sich Arbeitsplätze dramatisch unterschieden: das Atelier eines Künstlers, das Labor eines Wissenschaftlers, die Bibliothek eines Gelehrten, die Werkstatt eines Tischlers. Heute habe fast jeder Berufsstand ein Element mit den anderen gemeinsam: den Computer. In der Welt der Mediatisierung und Kommerzialisierung verschwindet das seinerzeitige Handwerk, oder es wird etwas hoch Exquisites.

Image des Handwerkers

Das Image des Handwerkers, beobachtet Macho, sei nach wie vor nicht besonders gut, da mit ihm Pfusch, Verspätung, Langsamkeit assoziiert werde. Dieses wenig vorteilhafte Bild erhalte gelegentlich auch eine Bestätigung. Davon möge man freilich in der Transflair-Debatte wegkommen. Vielmehr sei an Sennett interessant, dass er den Begriff ausgeweitet hat, etwa auf Dirigenten oder Programmierer. Zum Handwerk gehöre jedoch eine Liebe zum Material, wenn man an einen Kupferstecher und einen Holzschneider wie Christian Thanhäuser denke. Der brauche einen "sehr genauen Blick auf das Material, um das, was er gelernt und sich in unendlich vielen Anwendungen eingefleischt hat, praktizieren zu können". Diese Materialliebe unterscheide den Handwerker von seinem schlechten Image und vom weiten Sennettschen Begriff.

Für ihn, sagt Thanhäuser, der intensiv von seiner Arbeit erzählt, sei es vor allem die große Liebe zu den verschiedenen Holzarten, je nach dem, was er gerade vorhabe: jetzt gerade den Versuch, den eigenen Fingerabdruck in Holz zu stechen. "Holz macht mich süchtig. Es ist ein lebendiges Material, ich spüre dann immer, wie der Baum gewachsen ist." Im übrigen verwende er für sich selbst gerne den Begriff Handwerker. "Künstler, das mag ich nicht, denn jeder, der im Fernsehen in den 'Seitenblicken' auftritt, ist schon Künstler".

Kunsthandwerker

Kunsthandwerker, antwortet Thomas Macho, das klinge "gewerblich", also eigentlich künstlerisch nicht wertvoll. Wenn Kritiker über ein Werk schreiben, es sei "handwerklich gut gemacht", dann höre man schon das "Aber" - als wäre Handwerk allein zu wenig. Dabei sei es ihm ein wahrer Genuss, sagt Thanhäuser, wenn er ein Sonett setze und jeden Buchstaben in die Hand nehme. Ja, bestätigt Thomas Macho, die Thanhäusersche Werkstatt sei ein wunderbares Experimentallabor. "Aber ich bin mir trotzdem sicher, dass viele Menschen sie wie eine Art Museum besuchen: 'Ah, so hat man das früher gemacht, und da gibt es einen, der das noch kann'. Das Problem, einen guten Handwerker zu finden, kennt halt jeder."

Ob sich denn unsere Vorstellung von Handwerk spalte, einerseits das Positive wie der Buchdruck, andererseits das im besten Fall rein Nützliche? Die Frage wäre, sagt Macho, warum das, was eigentlich nützlich ist, so rasch das Image bekommt, schlecht gemacht zu sein. Interessanterweise wird etwa Langsamkeit unterschiedlich aufgenommen, beim "nützlichen" Handwerker negativ, bei Christian Thanhäuser positiv: Ihm sind Ruhe, genaues Hinschauen, Langsamkeit wichtig. Das betreffe Recherche und Konzeption, sagt er, das Bild entstehe recht schnell, "ich habe es im Kopf, dann weiß die Hand, was zu tun ist". Jedenfalls: "Ich lasse mich nicht antreiben, ich will die Arbeit am Werk genießen", sagt er, verwehrt sich der Wachstumsideologie und verlegt nach wie vor nicht mehr als zwei, drei Bücher im Jahr.

Wissen der Hände

"Das Wissen der Hände, das finde ich sehr wichtig", sagt Thomas Macho. "Dass die Hände selbst die Operatoren, das Werkzeug sind und dass zum guten Handwerk eine souveräne Praxis gehört." Er verweist auf die alte Tradition, in den Händen eine Schrift zu erkennen, als wäre es ein Text, der das Innerste der Person verrate.

Zum Handwerk des Schreibens nehmen Bettina Balàka und Paulus Hochgatterer auf dem Transflair-Podium Platz. Von beiden stammt eine ebenso faszinierende wie präzise gearbeitete Sprachkunst. Für ihre Gedichte, besonders die Bände Im Packeis und Schaumschluchten, erhielt Bettina Balàka den Salzburger Lyrikpreis. In der Begründung hieß es, sie bleibe nicht an den lieblichen Oberflächen stehen; vielmehr bietet sie Bilderfolgen, die schnell kippen können. In ihrer Diplomarbeit hatte Balàka über Emily Brontë geschrieben, ihre Prosa sei bis ins kleinste Detail sorgfältig gearbeitet wie ein Gedicht. Das gilt auch für Balàkas Prosa, geprägt von Erzähllust und Auseinandersetzung mit dem Erzählen. Der Roman Eisflüstern verbindet eine Kriminalhandlung mit Historischem; im Zentrum von Die Prinzessin von Arborio stehen eine dreifache Mörderin und ein Kriminalpsychologe - und wie bei Hochgatterer gehen diese Texte weit über das Handwerk des Krimi-Genres hinaus.

Bei Transflair liest Balàka aus dem kürzlich erschienenen Roman Die Tauben von Brünn. Er schildert die Geschichte des Johann Karl Sothen, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Wien durch Lotto und Betrug reich wird; ihm gegenüber steht die arme junge Nachbarin Berta Hüttler, deren Gesicht durch eine Hasenscharte entstellt ist: Zu ebener Erde und im Ersten Stock, unten Trafik und Lottokollektur, oben die Taubenzucht - ein Lehrstück über Klassenunterschiede und Habgier. Im Standard meinte der erfreute Rezensent, der Roman sei "ein Beitrag zur aktuellen Sozialdebatte".

In der großartig faszinierenden Literatur des Kinderpsychiaters und Schriftstellers Paulus Hochgatterer sind Heranwachsende und was ihnen angetan wird ein Oberthema. In der Erzählung Wildwasser berichtet ein "schwieriger" Jugendlicher; Caretta Caretta ist ein Roman adoleszenter Irrfahrten; wie sich ein Lehrer mit seinem Gewehr in eine Felswand zurückzieht und inzwischen eine Dreizehnjährige die Welt als seltsames Gerangel erlebt, lesen wir in Über Raben. Als Hochgatterer den Europäischen Literaturpreis zugesprochen erhielt, hob die Jury seine "phänomenologische Schreibweise" hervor.

Auf dem Transflair-Podium liest er den Beginn des neuen Romans Fliege fort, fliege fort. Es ist der dritte (nach Die Süße des Lebens und Das Matratzenhaus), der im fiktiven Furth am See spielt, einem konzentrierten Österreich, der "freundlichen Variante der Bösartigkeit". Alle drei - "auch ein Krimi", wie Hochgatterer sagt - sind in einem hochinteressanten Perspektivenwechsel gestaltet, sodass die Erzählhaltung selbst zu einem Indiz der Krimi-Handlung wird. Im Zentrum stehen der Kommissar Kovacs und der Psychiater Horn, der kriminalistische und der psychologische Ermittler. In Fliege fort, fliege fort liegt ein alter Mann schwerverletzt im Krankenhaus, will jedoch offenbar aus Angst verschleiern, wie es dazu kam. Der schöne Schein am See ist gestört, es herrschen latente Aggressivität, Fremdenfeindlichkeit, autoritäre Selbstermächtigung, andererseits auch Solidarität und Zuneigung. Und vieles verweist auf die aktuelle Situation in Österreich: "Schließlich fragte er sich, wie es passieren konnte, dass einige wenige Menschen die Stimmung in einem Land völlig veränderten."

Blind schreiben

Ob Bettina Balàka und Paulus Hochgatterer noch mit der Hand schreiben? Walter Benjamin hat ja betont, wie wichtig die Auswahl des Schreibwerkzeuges für das Gelingen des Werkes sei. Seinerzeit habe sie im Dolmetschstudium "unter qualvollen handwerklichen Bedingungen" einen Schreibmaschinenkurs besuchen müssen, sagt Balàka, und sei immer noch dankbar, dass sie dort das Zehnfingersystem erlernt habe. "Das heißt: Ich kann blind schreiben. Das ist für das literarische Schreiben großartig, denn ich kann den Text mit geschlossenen Augen aus der Fantasie in die Finger fließen lassen."

Paulus Hochgatterer darauf: "Ich bin neiderfüllt". Er zeigt seinen Faber-Castell-Bleistift mit Aluminiumhülse, eingebautem Spitzer und Radiergummi, "eine kleine Kompensation des Zehnfingersystems". Damit verfertigt er Notizen, Skizzen, Zeichnungen in kleinen schwarzen Moleskine-Heften, kleinliniert, sieben Millimeter, kleine Schrift. Ob das Andere lesen können? "Ich bin zwar auch Arzt, aber ich schreibe überraschend schön." Und da von der Struktur der Furth-Romane die Rede war: Er zeichne Kapitel-Struktur und Handlungsstränge auf, nur so fühle er sich sicher.

Im Zehnfingersystem für Die Tauben von Brünn gibt es derartiges nicht. Sie sei "sehr computerisiert", sagt Bettina Balàka, das sei für den Verkauf des Vorlasses ganz ungünstig. Der kreative Alltag ist bei Hochgatterer "eingezwickt zwischen all dem anderen", sprich vor allem der Arbeit als Primar. Deswegen pflege er eine skeptische Beziehung zur Langsamkeit. Wenn er einem Handwerker im Waldviertel, wo er gerade hausbaue, sage "Lassen Sie sich Zeit", dann komme nichts Gutes raus. Er selbst brauche "einen gewissen Druck". Er schreibe dann und dort, wo Zeit und Platz sei, nie am Schreibtisch, er habe gar keinen.

"Ich schon", sagt Balàka. Aber auch für sie wäre die Langsamkeit gar nicht gegangen, denn es gab ja eine Deadline.
"Würdest du je ein Buch abgeben ohne Deadline?", fragt Hochgatterer.
"Es würde vielleicht zwei, drei Jahre länger dauern."
"Wäre es dann besser?"
"Ich bezweifle es."
Das Handwerk der Recherche bedeutet für Bettina Balàka, dass sie sich meist Themen aussuche, von denen sie a priori keine Ahnung habe. "Das Schreiben ist auch ein Lernprozess." Für Die Tauben von Brünn habe sie zunächst die historische Zeit interessiert und was sie mit uns zu tun habe. Ja, sagt Hochgatterer, die Milieus und Vorgänge der Romanhandlungen müsse man schon kennen. Wenn man über das Kajakfahren schreibe wie in Wildwasser, empfehle es sich, einmal in einem Kajak gesessen zu sein. Eine unerschöpfliche Quelle für Geschichten sei freilich sein Beruf als Kinderpsychiater.

Auf dem Podium ging es schließlich um das Handwerk des Erzählens und die Frage der Perspektive. Sie habe ein Panorama der Zeit auf unorthodoxe Weise schildern wollen, sagt Balàka, deswegen die Zeitsprünge und Perspektivenwechsel, "ein bewusst eingegangenes Risiko, denn es hätte chaotisch werden können". In den drei Furth-Romanen ordnet Paulus Hochgatterer die Erzählung auf die gleiche Art an. "Schwere Zwangsneurose", sagt er. Das Publikum lacht. Ihm sei für sein Handwerk des Zuhörens gedankt.