Im Gespräch
Macht und Erzählen
24. 11. 2016 / Von Klaus Zeyringer
Weltliteratur bei "Transflair": Dževad Karahasan und Ilija Trojanow

Das begeisterte Publikum hat es offenbar gespürt: Diesmal, es war die 57. Folge, entsprachen die Schriftsteller auf dem Podium und ihre Werke besonders dem Konzept der Serie "Transflair". Es war Weltliteratur nicht nur zu Gast, sondern auch mit Lesung und Gespräch erfahrbar, gewitzt mit Esprit und faszinierend vorgetragen, voller Geschichten und Einblicke, Erklärungen und hochinteressantem Bildungsgut. Weltliteratur aus einem kosmopolitischen Geist heraus geschaffen.

Dževad Karahasan kommt aus dem ehemaligen Jugoslawien, in seinem großen Roman Der Trost des Nachthimmels heißt es: "Sarajevo zwischen 1975 und 1985 war ein guter Ort zum Leben". Das bosnische Kultursystem, in dem vier Konfessionen im Goetheschen Sinne von Toleranz ("ich bin ich, weil du du bist") zusammenlebten, hat er eingehend beschrieben. Wie seine Stadt verbindet er Okzident mit Orient, abendländisches mit morgenländischem Denken, Platon und Chayyam, arabische Literatur und Kleist, Büchner und die Gärten Persiens... Im Krieg, als dieses Sarajevo und mit der Nationalbibliothek so viele einzigartige Zeugnisse der Schriftkultur zerstört wurden, flüchtete Karahasan, ließ sich in Graz als Stadtschreiber nieder.

Aus seiner Feder stammen so erhellende Essays wie im Tagebuch der Aussiedlung, so starke Erzählungen wie Das Prinzip Gabriel über Gavrilo Princip im Band Berichte aus der dunklen Welt, so beeindruckende Romane wie Sara und Serafina oder Der nächtliche Rat mit ihren Lebenswegen in schrecklicher Zeit, mit tollen Figurenreden und zugleich einer feinen ironischen Distanz. Um sie hierzulande zu verbreiten, steht ihm, der selbst ein facettenreiches Deutsch mit einem unglaublich umfangreichen Vokabular spricht, die Übersetzerin Katharina Wolf-Grieshaber kongenial zur Seite.

Karahasans jüngst erschienener komplexer Roman Der Trost des Nachthimmels trägt im Original auf Bosnisch den Titel "Was die Asche erzählt". Er dreht sich um den historischen Omar Chayyam, den berühmten Dichter und Gelehrten im Isfahan des 11. und 12. Jahrhunderts, in Blüte und Zerfall des Seldschukenreiches. Der erste der drei Teile (im Original sind es drei Romane) ist ein Entwicklungsroman, in dem nicht nur ein Kriminalfall die Handlung packend vorantreibt.

Der zweite ist ein Roman der Macht: Gefahr von außen und Fundamentalismus, Aufbau eines Nachrichtendienstes und eines Sicherheitsrates, Häretiker und eine Terrororganisation - das kommt uns heutzutage bekannt vor. Im dritten Teil ist das Reich zerfallen, Chayyam ist alt; da beginnt ein anderer Entwicklungsroman, der eines jungen Bosniers, und führt bis in die Bibliothek von Sarajevo.

Ilija Trojanow kommt aus Bulgarien, von dort flüchtete er als Kind mit seinen Eltern. Er lebte in München, in Kenia, in Indien, Südafrika, bis er sich nunmehr in Wien niederließ. Wie die Hauptfigur seines großen Romans Der Weltensammler, ein englischer Offizier des 19. Jahrhunderts, hat er sich selbst auch auf die Hadsch nach Mekka gemacht, ist er ins "tiefe Afrika" vorgedrungen. Als Verleger hat er insbesondere afrikanische Literatur auf Deutsch zugänglich gemacht. Seine Reisereportagen sind wunderbare Anregungen voll einlässlicher Beobachtungen, etwa jene, die dem Ganges von der Quelle bis zur Mündung folgt.

Sein Buch Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen berichtet ebenso mitreißend wie gewitzt von einem schier unglaublichen sportlichen Selbstversuch. Seine Essays zeugen von einem eminenten politischen Geist, Angriff auf die Freiheit mit Juli Zeh über den Überwachungsstaat war bei der Publikation leider von geradezu prophetischer Qualität. Seine Erzählungen und Romane verknüpfen Politisches mit Privatem, etwa Eistau über einen Glaziologen, dem sein Gletscher wegschmilzt.

"Aber die Könige sterben nicht aus. Sie haben sich verkleidet, sich neue Titel verliehen und glauben sich unerkannt". So heißt es in Ilija Trojanows erstem Roman Die Welt ist groß und Rettung lauert überall. Im jüngst erschienenen Roman Macht und Widerstand ist die Rede von der "Hast, mit der sie demokratischen Dekor über die Diktatur hängten". Das umfangreiche, vielschichtige Werk begibt sich in die bulgarische Geschichte und bringt uns mächtige Schurken nahe, denen der vorgebliche Umbruch wenig antut: exemplarisch die Innensicht von Generaloberst Metodi Popow, Offizier der sogenannten Staatssicherheit, im halbgebildeten Vergleich als "Michelangelo des Verhörs" gelobt. Ihm gegenüber steht der Anarchist Konstantin Scheitanow, der 1953 zu zwanzig Jahren Haft verurteilt wird, Gefängnis und Folter, Lager und schreckliche Grausamkeit erleiden muss.

Wege kreuzen sich bis zum Tod

Seit der Schule in der Provinzstadt kennen sich die beiden, bis zum Tod kreuzen sich ihre Wege. Zu den Perspektiven dieser Hauptfiguren sind tatsächliche Dokumente aus den Archiven montiert und ist die Draufsicht eines "Chors", jeweils eine Jahreszahl und "erzählt", also der "Zeitgeist", gesetzt. "Wer die Macht im Land hat, kontrolliert auch die Erinnerung", sagt Ilija Trojanow - die Geschichte von Macht und Ohnmacht ist unter Verschluss gehalten, im Roman wird sie zur Sprache gebracht.

Den beiden Sprachkünstlern geht es nicht zuletzt um Strukturierungen, Vorgangsweisen und Auswirkungen der Macht. Immer spielt die Angst mit. Bei Trojanow sagt Metodi: "Nur wenn man Angst vor dir hat, hast du Macht". Bei Karahasan heißt der zweite Teil des Romans "Der Duft der Angst", ein Kapitel trägt den Titel "Es riecht nach Angst". Dieser Teil, sagt er, sollte ein Epos sein. "Die Epen erzählen, wie eine politische, kulturelle Gemeinschaft entsteht; Mythen erzählen, wie etwas entsteht: Gott, Welt, Menschen. In meinem Roman handelt es sich aber um den Zerfall einer Gemeinschaft - das musste also ein Anti-Epos sein."

Das ganze Buch basiere auf einer Legende, die kurz nach dem Tode von Omar Chayyam entstanden sei. Chayyam, mit ihm der spätere Großwesir des Seldschukenreiches und als Dritter derjenige, der den politischen Terrorismus begründen sollte, besuchten ein und dieselbe Schule. Sie hätten geschworen, dass jener, der als Erster zu Reichtum und Macht komme, den beiden anderen helfen werde. Als der Großwesir in dieser Situation gewesen sei, habe er Chayyam auf seinen Wunsch ein Observatorium und ein Stipendium verschafft, dem Dritten eine Festung in den Bergen. Diese Geschichte definiere "ganz wunderbar drei Formen des politischen Denkens, drei mögliche Beziehungen zur Macht. Der Großwesir war ein Konservativer: Die Welt ist gut, man kann sie in Einzelheiten verbessern, und ich bemühe mich darum. Die Leute sollen mir Folge leisten, weil ich ihnen ein gutes Leben sichere.

Ich bin die Wahrheit

Chayyam repräsentiert die philosophisch-künstlerische Sicht, mit der diesseitigen Macht will er nichts zu tun haben, er will Gesetze der Welt erkennen. Und der Dritte der Schulkameraden war ein Revolutionär, ein Charismatiker - er will, dass die Leute ihm folgen, weil sie an ihn glauben: Ich bin die Wahrheit." Schließlich bleibt er extrem einsam. "Leute der Macht sind Monomane und Menschen des Monologs." Omar Chayyam hingegen ein Mensch des Dialogs; er wollte nichts mit der Macht zu tun haben, weil er zu viele Fragen hatte, Probleme, die auch unsereiner heutzutage haben müsse: Er lebte unter lauter Fundamentalisten. Solche Menschen haben wenig Wissen und glauben, dass dieses wenige Wissen alles andere ersetzen könne. "Wie bei uns heute", sagt Karahasan und spricht damit die eminente Aktualität seines historischen Romans an. "Machtgierige haben Antworten und keine Fragen."

Er sei letztes Jahr in Isfahan gewesen, sagt Ilija Trojanow, dadurch könne er Karahasans Roman besonders genießen: Dort sei es in manchen Gebäuden wie im Vorhof zum Paradies, wo sich das Sublimste an menschlichem Geist verwirklicht habe. "Dann wird man aber an andere Orte geführt, an denen man die brutale, gewalttätige Geschichte der Macht sieht." Die sich dadurch ergebenden Konflikte versteht Trojanow von der weit (von Sarajevo bis Neu Delhi in 45 Ländern) verbreiteten Figur des Nasredin Hodscha ironisch auf den Kopf gestellt. Die fundamentalistischen, die autoritären Denkweisen bringe er provokant, in absurder Form auf den Punkt.

In der Türkei könne man gerade beobachten, wie die Macht voranschreiten, wie sich Menschen die Frage stellen: "Kann ich mir den Widerstand leisten?". Das sei eben das Thema von Macht und Widerstand. "Wir schreiben Romane", sagt Ilija Trojanow zum darauf nickenden Karahasan, "weil uns ganz wichtige Fragen umtreiben, auf die es gerade keine Antwort gibt." Ihn habe es immer brennend interessiert, wie es mit dem extrem engen Verhältnis von Macht und Widerstand bestellt sei. In seinem Roman geht es um Menschen, die in einer Zeit Widerstand leisten, in der es scheinbar völlig sinnlos ist: in der Hoch-Zeit des Stalinismus. Keiner von ihnen hatte wohl geglaubt, mit ihren Aktionen würden sie die totalitäre Herrschaft tatsächlich stürzen.
Widerstand hat vielmehr mit Würde, Haltung, Freiheit zu tun. Und dann kommt man auf die große Frage, warum manche Menschen offenbar meinen, ihre Würde und Freiheit sind unabdingbar verbunden mit einer Form des Widerstands, und warum es eine große, große Mehrheit gibt, die das offensichtlich nicht benötigt.
Die vielen unterschiedlichen Antworten der Menschen, mit denen Trojanow in Bulgarien geredet hat, seien oft sehr überraschend gewesen, vor allem: "Wir haben uns im Gefängnis freier gefühlt als jemals zuvor oder danach." Dort seien die Positionen völlig klar gewesen, den kleinen Kompromissen des Alltags entrückt. Sehr berührt habe ihn die Aussage der meisten dieser Leute, dass es sich gelohnt habe. Deswegen lautet der letzte Satz des Romans, von Konstantin gesprochen: "Es hat sich gelohnt."

Das erinnere ihn an seine Gespräche mit Mystikern, mit Sufi-Meistern, die stets an der Grenze zur Häresie stehen, sagt Karahasan: "Er verliert sich, gewinnt aber alles andere."
Trojanow: "Wie einer der berühmten Sufis erklärte: Das Ziel ist die Reise vom Ich zum Selbst."
Karahasan: "Ob sich Widerstand lohnt? Es gibt keine richtige Antwort. Deswegen schreiben wir so dicke Bücher."
Trojanow: "In deinen Büchern finde ich oft die Sufi-Weisheit, dass das Paradoxe ein Element der Erkenntnis ist."