Im Gespräch
Blut und bodenlose Gewalt
27. 11. 2015 / Von Klaus Zeyringer
Über lachende Massenmörder und soldatische Männerphantasien, von SS bis IS.

Ein Platz auf dem Podium war frei, der Raum jedoch von Klaus Theweleits Präsenz und Worten gefüllt. Die Serie Transflair bringt jeweils zwei Schriftsteller oder Autorinnen ins Gespräch und der Zuhörerschaft nahe, eine kurzfristige Absage änderte diesmal die Konstellation. So ging es um Blut und bodenlose Gewalt, von einer möglichen "Rettung durch Spiritualität" war kaum die Rede. Dafür erfuhr das zahlreiche Publikum kurz nach den Anschlägen von Paris Hintergründe und ein Psychogramm derartiger Täter.

Massenmorden gehört dazu

Das Morden und Massenmorden gehört zum ganz normalen Manntyp dazu - immer dort, wo die Schleusen einmal geöffnet sind", schreibt Theweleit in seinem neuen, aus der Vorlesung in der Akademie Graz hervorgegangenen Werk Das Lachen der Täter.

Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker ist mit einem ungemein wirkungsmächtigen Buch in den späten siebziger Jahren berühmt geworden. Die zweibändigen "Männerphantasien" (1977/78) bezeichnete der "Spiegel" in seiner ungewöhnlich langen Rezension als eine der aufregendsten Publikationen dieser Zeit. Beeindruckend und erhellend analysiert hier Theweleit - ausgehend von der deutschen Freikorpsliteratur - die faschistische, soldatische Prägung, die Mordlust, die Frauenunterdrückung. Die "Herrenmenschen aus Stahl" legen sich einen "Körperpanzer" zu, einen "soldatischen Blick". Sie streben nach der Auferstehung des "ewigen Reiches" und wünschen, in den schützenden Panzer der Gemeinschaft eingebunden zu sein.

Seine Beobachtungen und Analysen führte Klaus Theweleit in der Trilogie Buch der Könige (1988-94) über die Kunstproduktion im Patriarchat und im Buch der Königstöchter (2013) über weibliche Opfer der Invasoren sowie Kolonisatoren weiter. Zudem hat er eingehende Werke über den Fußball als Realitätsmodell und über das Kino verfasst. Von der großen Leinwand kennen wir ja jene deutlich hervorgehobenen Bösewichte, zu deren Erkennungszeichen nicht nur die schwarze Kleidung, sondern auch das sardonische Gelächter gehört.

Lachender Killer

Das Lachen der Täter leitet Theweleit mit kurzen Betrachtungen über eine Filmsequenz ein, die Henry Fonda in Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod" als lachenden Killer zeigt. Der rote Faden der Blutspur ist der norwegische Massenmörder Breivik, von SS bis IS sieht sich Theweleit weltweite Zeugnisse der bodenlosen Gewalt an, in Indonesien und Kambodscha, im Irak und in Ruanda, beim Zerfall Jugoslawiens und nun in Syrien. So schafft er ein grauenhaftes Panorama der Tötungslust und führt sukzessive in tiefe Hintergründe dieser Täter, die den Mord als Feier begehen, deren gemeinsame Religion die Übereinstimmung im Gelächter zu sein scheint. Dabei spielen nicht nur soziale Gründe eine Rolle, sondern auch die psychische und körperliche Verfassung, deren Entwicklung in Adoleszenz und Pubertät.

Der Clou an der Sequenz in "Once upon a Time in the West", erklärt Klaus Theweleit auf dem Transflair-Podium über den Beginn seines Buches, sei ja, dass Henry Fonda von Sergio Leone gegen sein Bild des unangreifbaren Guten des amerikanischen Westerns benutzt und zum Killer mit strahlend blauen Augen gemacht werde: "Im Filmrückblick lacht er sich als junger Mann kaputt, als er einen Mann aufhängt. Dieses Lachen, das da aus ihm hervorbricht, ist eine ungeheure körperliche Befriedigung, geradezu orgiastisch." Theweleit leitet mit dem Kino ein, da er in seinem Werk Filmdenken und Gewalt über Hitchcock, Godard und Pasolini schon über das Thema geschrieben und in seiner Studentenzeit einen wichtigen Teil seiner Kenntnis von der Welt aus dem Kino bezogen hatte: "Ohne das Kino wäre das Bild von der Wirklichkeit unvollständig, es hatte bis in die siebziger Jahre einen ungeheuren Weltgehalt. Wir gehen ins Kino, um das Gehirn brausen zu lassen, haben wir damals gesagt." Es folgte eine kurze, eindringliche Erläuterung über den Western, die unterschiedliche "Einbettung" der Gewalt bei den Amerikanern und den Italienern. Bei John Ford, betont Theweleit, "hatten die Filme etwas Utopisches: dass die Gewalt vielleicht beherrschbar oder abbaubar sei. Damit hat der Italo-Western aufgeräumt."

Lust nur durch Gewalt

Er untersuche nun in seinem Buch eine bestimmte männliche Körperlichkeit, die eine Lust nicht anders erleben könne als durch Gewalt. Die libidinöse Besetzung der Körpergrenzen sei nicht gelungen, weil die Gefühle so negativ und mit Angst versehen sind, dass die Emotionen zunächst ins Innere zurückgezogen wurden - der Körperpanzer als Rettung vor der Bedrohung durch die eigenen Gefühle. Bei Bedrohung von außen bricht der Panzer, durch die Gewalttat wird er wieder hergestellt.

Die Beispiele aus aller Welt zitiert Theweleit in Das Lachen der Täter vor allem aus Zeitungsartikeln, zwischendurch fasst er in Theorie-Kapiteln zusammen. An einer Stelle heißt es: "Alles, was wir wissen, wissen wir von Journalisten". Er habe den Satz mehrfach und eher ironisch verwendet, sagt er, aber im Falle Syriens und des IS gebe es hierzulande ja tatsächlich kaum Quellen außer von den Medienleuten, die sich dort aufgehalten und es überlebt haben, und die Selbstdarstellung des IS im Internet - auch hier: die Bedeutung der Bilder. Für Männerphantasien habe er anders vorzugehen vermocht, da habe er sich auf die Texte, auch auf Biographien der Freikorpsmänner stützen können.

Das Gelächter der Täter dröhnt rund um die Welt. Den Spaß in den Gesichtern der Henker hat Karl Kraus den "Letzten Tagen der Menschheit" in den frühen zwanziger Jahren bildhaft vorangestellt, indem er vor dem Text ein Foto von der Erhängung des italienischen Politikers Battisti mit grinsendem, feixendem Publikum präsentierte.

IS statt Popkultur

In Berichten von den Pariser Anschlägen war allerdings von "Gelächter" keine Rede. Wie er das deute, wird Klaus Theweleit gefragt. Auf den Angriff gegen "Charlie Hebdo" gehe sein im Februar 2015 abgeschlossenes Buch ein, die jüngsten Attentäter hätten auf ähnliche Art funktioniert und eine ähnliche Geschichte. "Sie kommen aus einer gleichen Szenerie von Bodenlosigkeit im Sozialen. Beide Male war es ein Angriff auf die Unterhaltungskultur des Westens, den Pariser Hedonismus." Bei den Dschihadisten, wie bei vielen Massenmördern, sind die Väter ein Dreh- und Angelpunkt der Biographien. Sind sie nicht präsent, können die Mütter in einer Kultur, in der den Frauen keine Autorität zugestanden wird, die Lücke nicht füllen. Für die jungen Leute, die nach Syrien ziehen, repräsentiert offenbar der IS das, was für die früheren zwei Generationen die Popkultur war. Eine derartige Geschichte liest Theweleit vor, jene der zwei Mädchen, die aus dem Wiener Bezirk Favoriten in den Heiligen Krieg gingen. In ihren Mails stand oft nichts weiteres als "Hahaha Hahahaha".

Am intensivsten beschäftigt sich Theweleit in Das Lachen der Täter mit Anders Behring Breivik, der im Juli 2011 auf einer kleinen norwegischen Insel binnen einer Stunde 69 Menschen, meist jugendliche Sozialdemokraten, erschoss. Das Gelächter des Killers begleitete die Opfer. Um auf die Insel zu gelangen, hatte er den Henry-Fonda-Effekt genützt und war in der Gestalt des Guten, freundlich in Polizeiuniform, erschienen. Seine Taten erklärte er in einem langen Manifest, in dem er sich als "Weltretter" und "Tempelritter" präsentiert, mit Berufung auf ein "höheres Recht". Der Unterschied zu den üblichen Kriminellen ist, dass diese ihre Taten verdecken wollen, während diese Massenmörder gesehen werden wollen, folglich die Öffentlichkeit suchen.
Das Lachen dieser Täter - der "trancehafte Durchbruch in eine neue Körperlichkeit", ein "Durchbruchslachen beim Killing"
Das Lachen dieser Täter sei der "trancehafte Durchbruch in eine neue Körperlichkeit", ein "Durchbruchslachen beim Killing". Freilich gebe es unterschiedliche Arten des Lachens. Die Komiktheorie von Henri Bergson sieht einen Urgrund in einer "Steifheit im Lebendigen", Michail Bachtin versteht das Karnevaleske als subversives Element. Die antiken Griechen kannten das Olympische Gelächter der Götter, in der Bibel hingegen wird kaum je ein Lachen erwähnt. Ja, sagt Theweleit, im Film, bei Buñuel gibt es den lachenden Jesus, der sich darüber aufregt, dass die Menschen sich mit "mea culpa, mea maxima culpa" schuldbewusst auf die Brust schlagen. Man könne von fast allen Religionen sagen, dass sie in der Phase ihrer Durchsetzung blutige Spuren zogen. In Bezug auf die griechische Mythologie hat Theweleit dies im "Buch der Königstöchter" beschrieben: Götter vergewaltigen und schwängern Königstöchter, die dann Heroen gebären müssen.

Muss uns also jegliches Lachen im Halse stecken bleiben, wenn wir die geschilderten Beispiele bedenken? "Ich hoffe nicht!", sagt Theweleit, es gebe eben unzählige Lachsorten. Liest man sein Buch, versteht man tiefere Hintergründe heutiger Bedrohungen besser. Bei Transflair ging es um das Lachen, an einem Abend, der sehr nachdenklich machte.
Klaus Theweleit, Das Lachen der Täter: Breivik u.a. Psychogramm der Tötungslust. Residenz 2015
Klaus Theweleit im November 2015 im Literaturhaus NÖ
Klaus Zeyringer. Professor für Germanistik an der Université Catholique de L'Ouest in Angers (F), Literaturkritiker; Bücher zuletzt: Eine Literaturgeschichte: Österreich seit 1650 (mit Helmut Gollner), Studienverlag 2012; Fußball. Eine Kulturgeschichte, S. Fischer 2014.